Nach 23 Jahren im Bundestag beendet die Nürnbergerin ihre politische Karriere. Für die einen ist sie ein ehemaliges Model mit klingendem Namen. Für die anderen eine engagierte Frau, die viel von Entwicklungspolitik versteht und sich nie dem Duktus der eigenen Partei unterwirft.
Dagmar Wöhrl ordnet dieser Tage ihr Büro und es dauert viel länger, als sie sich das vorgestellt hat. Sie kann eben nichts wegschmeißen, sagt sie, und „an den Dingen hängen so viele Emotionen“. Alles hat sie abgeheftet, Buch geführt und in ihr Tagebuch geschrieben. Es gibt ein öffentliches Bild von Wöhrl, für das sie sicher auch selbst verantwortlich ist nach 23 Jahren im Bundestag. Diesem Bild folgend würde man nun erwarten, dass Wöhrl von Bill Gates erzählt, den sie getroffen hat, oder doch mindestens von Karl-Theodor zu Guttenberg, der für kurze Zeit ihr Chef war im Bundeswirtschaftsministerium. Aber Wöhrl erzählt von ihren ersten Bürgersprechstunden. Von der Frau, die sie damals gebeten hat, sie möge sich doch dafür einsetzen, dass Ampeln länger grün bleiben, als sie momentan grün sind. Weil sie doch sonst nicht heil über die Straße komme in so kurzer Zeit. 1994 war das.
Beim Blättern findet Wöhrl jetzt auch sämtliche Artikel, die ihr zu schaffen gemacht haben in all den Jahren. Etwa der SZ-Text, der mit „Die Katzenmama aus dem Ministerium“ überschrieben war, und der eine Situation aus dem Sommer 2009 schilderte. Wöhrl, die Abgeordnete aus Nürnberg, war damals parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium und hatte sich auf den ersten Blick eingereiht in all jene, die an diesem Tag vor dem Quelle-Bau mobil machten. Alle, die etwas zu sagen haben in der Region, hatten sich versammelt, um den verängstigten Quelle-Leuten, die um ihre Jobs bangten, ihre Solidarität auszudrücken. Einer nach dem anderen kletterte auf ein improvisiertes Podium, die Reden erinnerten an die von Volkstribunen. Wohl wussten die Leute unten, dass sie kaum noch eine Chance haben werden, noch weiter bei Quelle arbeiten zu können. Aber in dem Moment schrien und pfiffen sie einfach ihre Angst heraus. Die Redner, so hilflos sie sein mochten, gaben ihnen Kraft dabei. Unten am Podium stand Wöhrl, die Frau aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Sie sprach nicht zu den Quelle-Leuten an dem Tag. Aber wer nahe genug an ihr dran stand, konnte hören, wie sie das, was da auf dem Podium gerufen wurde, kommentierte. Es war ernüchternd. Mitunter klang es fast hämisch. Mindestens aber illusionslos.
Wöhrl veröffentlichte in jenem Sommer – genau in den Tagen, als bekannt wurde, dass 1800 Mitarbeiter bei Quelle ihren Job verlieren werden – einen Eintrag in ihrem Twitter-Tagebuch. „Fahre jetzt zur Jahrespressekonferenz meines Tierheims. Katzenalarm! Allein in den letzten drei Monaten mussten wir 400 Katzen aufnehmen.“ Danach fragten sich auch einige in ihrer Partei, ob das nun wirklich das Topthema ist für eine Wirtschaftsstaatssekretärin aus der Quelle-Krisenstadt Nürnberg.
Wöhrl kann das annehmen nach all der Zeit. Aber sie hat auch ihre Version der Geschichte, und die erzählt nicht von einer, die kein Herz hat für Quelle-Mitarbeiter und sich stattdessen lieber um Katzen kümmert. An diesem Tag im Sommer 2009 habe sie als Staatssekretärin „doch längst gewusst, wohin die Reise geht mit der Quelle“, sagt sie. Man wolle immer Politiker, die den Leuten die Wahrheit sagen. Hätte sie sich da hinstellen sollen auf ein Podium und den Menschen was vorheucheln? „Ich war immer authentisch“, sagt Wöhrl. Und ja, womöglich habe sie sich veranlasst gesehen, wenn sich einer auf dem Podium zu etwas verstiegen habe, das kritisch zu kommentieren. Sie könne halt mitunter nicht schweigen und trage ihr „Herz auf der Zunge“. Und die Sache mit den Katzen kam in der Situation vielleicht nicht gut rüber. Andererseits, klar: Man kann im Leben das eine tun, ohne das andere lassen zu müssen. Sich also um Quelle-Leute sorgen. Und danach um Katzen.
Es gab immer zwei Bilder von Wöhrl. Die einen zeichneten das Bild einer wohlhabenden Abgeordneten, die einen Mann mit klingendem Namen geheiratet hat und früher als Model von sich reden machte. Typus kaltherzige Karrieristin. Die anderen, und nicht nur ihr Fanklub auf Facebook, erzählen eine komplett andere Geschichte: die einer Frau, die sich schon für Afrika und Entwicklungspolitik interessiert hat, als andere noch glaubten, da gehe es in erster Linie um Brunnenbau; eine Juristin, die sich für wenig mehr engagiert als für Kinder in Not und die eher im Boden versinken würde, als irgendwelche dumpfen Talkshow-Parolen über Flüchtlinge nachzubeten. Übrigens auch nicht die aus ihrer eigenen Partei. „Ich habe in meinem Leben so viel Elend in Aufnahmelagern gesehen“, sagt sie. Da lasse sie sich bestimmt nicht sagen, was sie davon zu halten habe. Schon gar nicht von Leuten, die selbst womöglich noch nie in einem Flüchtlingslager gewesen sind.
Es gibt Gerüchte in der CSU, Wöhrl, 63, höre nun nicht ganz freiwillig auf; dass es ein großes Interesse gab, gerade in Nürnberg, dass sie Platz macht für Jüngere. Das stimme einfach nicht, sagt Wöhrl. Ihre Entscheidung, nach 23 Jahren aufzuhören, sei in eine Zeit gefallen, in der in der CSU das „Merkel-Bashing“ an der Tagesordnung gewesen sei. Das habe sie sich nicht mehr antun wollen. Außerdem sei 63 ein gutes Alter, um noch mal was Neues anzufangen.
Dieses Neue wird nun wieder beide Fraktionen in ihrer höchst konträren Sicht bestätigen. Diejenigen, die in ihr immer schon eine ebenso vermögende wie TV-kompatible Unternehmer-Gattin sahen, dürfen sich bestärkt fühlen. Beim Privatsender Vox greift Wöhrl neuerdings Firmengründern mit Startkapital unter die Arme – was ja nur jemand kann, der über entsprechendes Geld verfügt. Das so auszustellen, muss man mögen. Die anderen werden sorgfältig beobachten, wie sich Wöhrl künftig noch leidenschaftlicher um ihre wohltätige Stiftung kümmert und ums Kinderhilfswerk Unicef. Und ja: Wie sie noch heftiger um die Rechte für Tiere kämpfen wird. Notfalls auch gegen die CSU.