Dagmar Wöhrl, eine außergewöhnliche Frau Upper Class Magazin, 15.05.2020

© Foto: Dagmar Wöhrl Privat

Upper Class Magazin: Frau Wöhrl, Sie sind eine außergewöhnliche Frau, die ihresgleichen sucht. Haben Sie ein Geheimrezept?

Dagmar Wöhr: Nein, nicht wirklich. Alles was ich in meinem Leben angefangen habe, habe ich mit Leidenschaft und Freude gemacht. Das ist mein Schlüssel für ein ausgeglichenes und vor allem zufriedenstellendes Leben. Egal, ob ich als Model, Anwältin, Politikerin oder als Unternehmerin gearbeitet habe – ich bin stets voller Tatendrang an meine Aufgaben gegangen. Dadurch hatte ich nie das Gefühl, dass es belastend sei.

Haben Sie einen Rat an junge, aufstrebende Frauen?

Frauen neigen oft dazu, sich kleiner zu machen, als sie sind. Sie unterschätzen mitunter ihre eigenen Fähigkeiten. Frauen bewerben sich bei einer Stellenausschreibung im gehobenen Management zum Beispiel gar nicht erst, da sie glauben, dem Anforderungsprofil nicht 100% zu genügen. Männer dagegen nehmen die Stelle mit der Überzeugung an, den Rest während der Ausübung der Tätigkeit zu erlernen. Frauen müssen einfach selbstbewusster auftreten, an sich glauben und sich mehr zutrauen. Dies gilt ebenso für Gründerinnen. Viel zu wenig Frauen wagen den Schritt in die Selbständigkeit. Hier würde ich mir mehr Mut wünschen.

Sie waren 23 Jahre im Deutschen Bundestag und unter anderem Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium und Vorsitzende im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Wie kam es dazu, nicht wieder zu kandidieren?

Das war ein langer Überlegungsprozess. Ich betrieb Politik immer mit großer Leidenschaft, aber irgendwann ist Zeit für etwas Neues. Als es darum ging, die Kandidaten für die nächste Bundestagswahl aufzustellen, bin ich mit mir in Klausur gegangen. Dabei erinnerte ich mich an viele wunderbare Momente, Zusammenkünfte mit großartigen Menschen, die ich in meiner politischen Laufbahn erleben durfte. Ich glaube, Teil meines Erfolges war, dass ich mir immer treu geblieben bin und die Bodenhaftung nicht verloren habe. Anfang der Neunziger Jahre, war es nicht selbstverständlich, dem Wunsch einer Frau zu entsprechen, in den Wirtschaftsausschuss entsandt zu werden. Man meinte, eine Frau, wäre wohl besser im Familienausschuss aufgehoben. Unter Politikgestaltung verstand ich aber auch meine Erfahrungen aus dem Wirtschaftsbereich mit einzubringen. Es war nicht leicht gewesen, sich hier durchzusetzen. So folgten 15 erfolgreiche Jahre in der Wirtschaftspolitik, in denen ich unter anderem auch als Staatssekretärin im Ministerium für Wirtschaft und Technologie war.

Können Sie sich noch an besondere Momente in diesen Jahren erinnern? Welche waren das?

Natürlich. Mir sind meine Anfangsjahre noch gut in Erinnerung. Damals, der Deutsche Bundestag befand sich noch in Bonn, gehörten so namhafte Persönlichkeiten wie Kohl, Lambsdorff oder Stoltenberg zum Hohen Hause. Als junge Abgeordnete spannte ich immer die Ohren auf, wenn diese erfahrenen Politiker über anstehende Entscheidungen sprachen. Davon habe ich viel gelernt. Eine meiner schönsten Zeiten waren die als Maritime Koordinatorin der Bundeskanzlerin. Das war anfänglich etwas grotesk, kam ich doch aus Bayern und hatte bis dahin recht wenig mit Schiffen oder Häfen zu tun. Diese Zeit entwickelte sich aber zu einem meiner Highlights, denn wie ich schnell lernte, gehörten zur Maritimen Wirtschaft auch die Werften, U-Boote, Off-shore-Technik und die Meerestechnologie. Ein immens umfassendes Gebiet. Es hat viel Freude gemacht, sich in diese nicht einfache Materie einzuarbeiten und die Erwartungen der Maritimen Wirtschaft zu erfüllen.
Aber auch außerhalb der Wirtschaftspolitik gab es großartige Momente. Dass der Tierschutz als Staatsziel ins Grundgesetz aufgenommen wurde, war ein Kampf gewesen. Aber es hat sich für die Tiere gelohnt, denn diese haben keine Stimme. Darauf bin ich noch heute stolz.

Warum haben Sie von der Wirtschaft in die Entwicklungspolitik gewechselt?

Das war wirklich eine Herzenssache. Auch wenn mein Wunsch verwundert entgegengenommen wurde, hat man auf meine Erfahrung, die ich auch aus dem privaten Bereich mitbrachte, vertraut und mich zur Vorsitzenden des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ernannt. Mein Ziel war, von der „Brunnenbau-Mentalität“ hin zur „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu kommen. Jahrelang war die Entwicklungsarbeit ein Topf ohne Boden. Gelder gingen in Entwicklungsländer, ohne zu wissen, wofür die Gelder überhaupt verwendet wurden. Damit sollte Schluss sein. Wir haben angefangen, projektbezogen zu unterstützen, um so die Kontrolle über die finanziellen Mittel zurückzuerlangen. Es wurden mehr und mehr Projekte ins Leben gerufen, die den Menschen auch nachhaltig geholfen haben. So konnten wir erreichen, dass immer mehr Regionen sich autark versorgen konnten. Dabei wurde immer darauf geachtet, dass auch viel in Bildung und Gesundheit der Kinder investiert wurde. Wenn ich dann bei Besuchen in diesen Ländern in all die glücklichen Kinderaugen schauen konnte, wusste ich, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Denn nur ein Land, welches in die Zukunft seiner Kinder investiert, kann die Zukunft meistern.

Trotz Ihres Herzblutes für die Politik, kam dann aber 2016 alles anders…

„Alles hat seine Zeit“, sage ich immer. 2016 kamen bei mir wie bereits angedeutet, Überlegungen ins Spiel, mich doch noch einmal neu aufzustellen. Ich war der Meinung, dass ich ziemlich lange politisch mitgemischt habe und so den Entschluss gefasst, nicht mehr zu kandidieren. Wie gesagt, es war ein längerer Prozess, denn diese Entscheidung fällt man nicht allein. Meine Familie, wie auch mein Team wurde in meine Überlegungen mit einbezogen. Für mich war es wichtig, dass jeder sofort eine Anschlussbeschäftigung fand. Als das sicher war, sprach ich mit meinen Parteikollegen und übergab den Staffelstab an meinen Nachfolger.

Haben Sie diesen Schritt schon einmal bereut?

Nein. Nicht eine Sekunde. Ich wollte mehr Zeit für meine sozialen Projekte haben, konnte jedoch nicht ahnen, welche neue Tür sich noch öffnete. Denn kein halbes Jahr nach Bekanntwerden meines Ausscheidens aus der aktiven Politik, kam das Angebot von VOX, als Investorin bei „Die Höhle der Löwen“ einzusteigen. Für mich war es wahnsinnig reizvoll, mein politisches und wirtschaftliches Know-how in diese Sendung einzubringen. Mir war bewusst, dass wir beim Thema Gründergeist noch eine große Aufholjagd vor uns haben. So konnte ich nun aktiv mitwirken, der Selbständigkeit mit dieser Sendung ein Gesicht zu geben. Denn die hoffnungsvollen Gründerinnen und Gründer, die bei uns in der Sendung ihre Idee oder ihr Produkt präsentieren, inspirieren viele, ihre eigenen Ideen umzusetzen. Wir hatten schon so manchen Kandidaten vor uns stehen, der nur ein Start-up gegründet hat, weil er vorher die Ausstrahlung gesehen hatte. Was kann man mehr von einer Sendung erwarten? Ich erlebe in meinem Alter noch einmal einen völlig neuen Lebensabschnitt. Mir war nicht nach Rosenzüchten im Garten, ich wollte noch einmal etwas völlig Neues wagen und wurde für meine Entscheidung mehr als belohnt.

Wenn man Ihnen in den sozialen Medien folgt, sieht man eine vielseitige und sehr aktive Frau. Woher nehmen Sie ihre Power?

Meine Mutter hat einmal gesagt, dass in mir ein Kraftwerk arbeitet, welches unentwegt Energie produziert. Diese muss ich irgendwie abbauen. Daher freue ich mich, auf immer neue Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Alles, was ich in meinem Leben angepackt habe, geschah mit Leidenschaft, Hartnäckigkeit und voller Überzeugung. Wenn ich mich für etwas engagiere, dann zu 100 Prozent. Ich liebe es, wenn ich Dinge lösungsorientiert angehen kann und Erfolge erziele. Davon zehre ich.

Sind Sie deshalb auch im ehrenamtlichen Bereich so aktiv?

Vielleicht ist das ein Grund. Ich bin in meinem Leben an vielen Orten gewesen, wo man nicht einmal seinen Feind hinschicken würde. An solchen Orten wachsen Kinder ohne Hoffnung, ohne Zukunft auf. Wer einmal in einem Slum war, in welches sich nicht einmal die Polizei hineintraut, wer das Elend der Kinder in Kriegsgebieten gesehen hat, der kann sich nicht einfach umdrehen und weiter machen, wie bisher. Zumindest konnte ich das nie. Für mich war das ein Auftrag, eine Berufung. Daher habe ich anfangs nur punktuell geholfen, mal eine Patenschaft übernommen, mal Hilfspakete gepackt. Als ich merkte, wie viel mehr ich bereit bin zu tun, gründete ich die nach meinem verstorbenen Sohn benannte Emanuel-Wöhrl-Stiftung. Diese hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kinderaugen zum Leuchten zu bringen. Wir haben in den letzten Jahren weltweit Unterstützung geleistet, sei es in Sri Lanka, Afrika, Nepal oder Thailand. Aber auch in Deutschland haben wir sozial schwache Familien unterstützt, um deren Kinder vor allem im Bereich kulturelle Bildung zu fördern. Wenn man in glückliche Kinderaugen schauen kann, ist das eine großartige Belohnung für all die Mühen. So bin ich gerne noch in vielen weiteren Gremien aktiv, wie z.B. UNICEF oder der TUI Care Foundation.

Wo sehen Sie sich in 10 Jahren?

10 Jahre sind eine lange Zeit. Das kann ich auf keinen Fall beantworten. Ich werde aber immer ein aktiver Mensch bleiben, der sich einbringt, wo immer er kann.

Wir bedanken uns für das angenehme und informative Gespräch Frau Wöhrl!

Erschienen im Upper Class Magazin www.ruperti-verlag.com

Upper Class Magazin
Jahrgang 11
Ausgabe 35
Mai 2020