Dagmar Wöhrl ist „Höhle der Löwen“-Investorin, ehemalige Anwältin, Politikerin und Miss Germany. Wie das alles zusammenpasst? Äh: muss es das?
„‚Höhle der Löwen‘-Star teilt heißes Foto: Fans rasten völlig aus“; „Heißer Bikini-Schnappschuss“; „Dagmar Wöhrl postet heißes Bikini-Foto“. So was schreiben Online-Medien, wenn sie ein Foto auf Instagram postet.
Äh, ja, Dagmar Wöhrl sieht fabelhaft aus auf ihrem #throwback auf die Seychellen, aber warum die Aufregung? Es werden doch täglich Tausende halb nackter Körper irgendwo hochgeladen. Liegt es daran, dass Dagmar Wöhrl eine seriöse Unternehmerin/Ex-Bundestagsabgeordnete ist? Oder dass ihr Körper nicht so aussieht, wie sich die meisten einen Ü-60-Körper vorstellen?
Irgendwas scheint da in den Köpfen nicht zusammenzupassen, sonst wär’s nicht so eine Breaking News.
Ob Rechtsanwältin, Schönheitskönigin, Unternehmerin und Unternehmergattin, Tierschützerin, Bundesverdienstkreuz- und Bikiniträgerin, langjährige Bundestagsabgeordnete, „Höhle der Löwen“-Star – Dagmar Wöhrl kombiniert ein paar Labels miteinander, die als unkombinierbar gelten.
Dagmar Wöhrl: Miss Germany 1977
Dabei ist ihr Plan ursprünglich bloß: Tierärztin werden! Sie sieht dann aber doch ein, dass sie ein „Aktenmensch“ ist – und studiert Jura. 1977 nimmt Dagmar Wöhrl an der Wahl zur Miss Germany teil, weil es ein Auto zu gewinnen gibt. Sie braucht gerade eins, um zur Uni zu kommen. Und was soll man sagen, sie gewinnt es. Nach ein paar internationalen Misswahlen, ihrer Hochzeit mit dem Unternehmer und Modehaus-Erben Hans Rudolf Wöhrl, einem Baby (Marcus, heute 35) und einem abgeschlossenen Jura-Studium arbeitet sie als Anwältin mit eigener Kanzlei.
So hätte es eine Weile weitergehen können, aber dann meldet sich die CSU. Ob sie nicht Lust hätte, für den Nürnberger Stadtrat zu kandidieren? Dagmar Wöhrl ist einigermaßen verwirrt: Sie ist ja nicht mal Parteimitglied! Aber ihr Mann sagt: machen. Nur meckern gilt nicht, man muss auch selbst was verändern. Also wird sie Stadträtin. Und ab da geht es weiter: 1994 zieht sie für den Wahlkreis Nürnberg-Nord in den Bundestag, 2002 wird sie wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, 2005 parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, 2009 Vorsitzende des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Rechtsanwältin, Unternehmerin und Politikerin
Eine Frau in der Wirtschaftspolitik, das ist in den Neunzigern noch sehr sonderbar. „Als ich anfing, wollten die Männer, dass ich als Frau im Familien- oder Gesundheitsausschuss sitze. Aber da habe ich mich geweigert.“ Sie muss lange drauf bestehen, bis die Kollegen es kapieren: Ah, die Blondine kennt sich tatsächlich mit Ökonomie aus.
„Frauen sollten sich nicht mehr einschüchtern lassen! Sie sollten die Konfrontation und sich Vorbilder suchen, Stärke zeigen, ihren Traum leben und in Netzwerken aktiver werden“, fordert sie. Sie wurde in ihrem Leben einmal zu oft als „Miss Bundestag“ oder „Unternehmergattin“ betitelt, obwohl sie schon früh Erfolge als Rechtsanwältin, Unternehmerin und Politikerin vorweisen konnte. Sie habe anfangs doppelt so viel leisten müssen, um das gleiche zu erreichen wie ein Mann. Hinter ihrem Erfolg stecken vor allem „Leidenschaft und Hartnäckigkeit“, sie will zu hundert Prozent hinter ihrer Arbeit stehen.
Deswegen beendet sie 2017 auch ihre politische Karriere, um sich ganz sozialen Projekten zu widmen. Für ihr Engagement bekommt sie 2008 das Bundesverdienstkreuz. Noch immer ist sie in unzähligen Ehrenämtern aktiv, darunter der Tierschutzverein Nürnberg-Fürth, UNICEF, die Bayerische AIDS-Stiftung, Aktion Deutschland Hilft und ihre eigene Stiftung, die Emanuel-Wöhrl-Stiftung. Gegründet im Andenken an ihren jüngeren Sohn.
Trauer um Dagmar Wöhrls Sohn
Emanuel stirbt 2001 mit nur 12 Jahren nach einem Sturz vom Dach ihres Hauses. Danach wird es in Dagmar Wöhrls Leben dunkel. Die Familie trauert gemeinsam, lädt Freunde und Klassenkameraden der Söhne zu sich nach Hause ein, sie sprechen über das Leben, den Tod und wie es weitergehen soll. Eine Therapie? Nichts für Dagmar Wöhrl. Sie liest Bücher über die Gedanken von Müttern verstorbener Kinder und stürzt sich in die Arbeit. „Jeder Mensch trauert auf seine ganz eigene Art. Da gibt es kein richtig oder falsch.“
Ihre Therapie ist die Arbeit an ihrem Schreibtisch, den sie scherzhaft „ihren Freund“ nennt. Die Trauer holt sie dennoch immer wieder ein, bis heute. „Nur die Intervalle dazwischen werden länger.“ Aber es muss weitergehen. Sie hat ja noch einen anderen Sohn, einen Mann, eine 95-jährige Mutter, die jeden Sonntag zum Essen kommt.
Die Verbindung zur Familie ist stark. Dagmar Wöhrl wächst in einem Mehrgenerationenhaus in der Nähe von Nürnberg mit den Großeltern unter einem Dach auf. Beide Eltern arbeiten bei Siemens, sie verbringt viel Zeit mit ihrer Großmutter. „Ich hatte eine richtige fränkische Kittel-Omi mit Kopftuch. Sie war ein sehr positiver Mensch, der viel Wärme, Güte und Charme ausgestrahlt hat.“ Und sie hat einige Weisheiten auf Lager, die die kleine Dagmar sich zu Herzen nimmt: „Wenn du positive Strahlen in die Welt sendest, kommen sie immer zu dir zurück.“ Oder: „Mache in deinem Leben etwas Sinnstiftendes. Wenn du etwas tust, dann mach es mit aller Freude und Engagement, sonst lass es sein.“ Ihren Optimismus, den hat sie von ihrer Oma. Aber vor allem bekommt sie als Kind sehr viel Liebe. Und Selbstvertrauen.
Skandal um Erotikkomödie und Kopftuch
„Das stärkste legale Doping“ nennt Dagmar Wöhrl es und muss feststellen: „Männer beziehen Erfolge auf sich selbst. Wenn sie scheitern, liegt es an den Umständen. Bei Frauen ist es leider umgekehrt.“ Sie versucht, als gutes Beispiel voranzugehen. Traut sich was. Muss man schließlich erst mal bringen, sich in der CSU für Geflüchtete, den Tierschutz und die Ehe für alle auszusprechen.
Aber auch von außen gibt es immer mal wieder Gegenwind: Die Presse will in den Neunzigern ihren Auftritt als 19-Jährige in der Erotikkomödie „Die Stoßburg – wenn nachts die Keuschheitsgürtel klappern“ (Nacktszene! Huch!) zum Skandal hochstilisieren. Klappt nicht. (Die Fränkin amüsiert: „Der Film ist so harmlos, den würde nicht mal Facebook zensieren.“)
Der „Spiegel“ beschreibt sie nach einer Reise nach Myanmar und Laos 2012 als shoppingwütige Selbstdarstellerin. Und als sie sich 2015 im Iran für die Freilassung des Nürnberger Menschenrechtspreisträgers Abdolfattah Soltani einsetzt und – wie es im Iran Vorschrift ist – mit Kopftuch auftritt, hagelt es Hassnachrichten im Internet.
Dagmar Wöhrls Erfolgsheimnis
Also: Dagmar Wöhrl tritt im Bikini auf – Fans „rasten aus“. Dagmar Wöhrl tritt mit einem Tuch auf dem Kopf auf – rechte Trolle rasten aus. Wenn eh alle dauernd ausrasten, dann hat man zwei Möglichkeiten: sich zurückziehen. Ist für Dagmar Wöhrl aber keine Option, weil sie „ein kleines eingebautes Kraftwerk hat, das zu viel Energie produziert. Deswegen werde ich wahrscheinlich nie nur Rosen züchten im Garten.“ Bleibt noch Möglichkeit zwei: einfach machen. Und zeigen, dass man mit vermeintlichen Widersprüchen erst recht Erfolg haben kann – und zwar nicht nur in einer, sondern gleich in mehreren Disziplinen.
Birgit Querengässer
13.08.2020
www.cosmopolitan.de